Heiligkeit des Lebens

 

Warum halten wir das menschliche Leben eigentlich für schützenswert, „unantastbar“ (GG Art 1) und heilig? Weil das Leben jedes einzelnen Menschen etwas individuell Einmaliges, absolut Unersetzliches und daher unschätzbar Wertvolles ist? Weil wir uns ohne das Tötungstabu ein angstfreies, zivilisiertes Zusammenleben in der Gesellschaft nicht vorstellen können? Weil das Leben – jedenfalls in Wohlstand und Frieden – größtenteils schön ist und wir insofern leben wollen und gerne leben und das auch jedem anderen zugestehen?

 

Ich fürchte, eine innerweltliche, säkulare, philosophische Begründung einer Ethik des Lebens reicht letztlich nicht aus, so überzeugend sie etwa von Immanuel Kant u.a. vorgetragen wurde und in Form der Goldenen Regel allen Kulturen und Religionen zugrunde liegt.[1] Die egoistische Lebensgier von einzelnen Menschen, Gruppen, Völkern und Staaten ist groß und führt immer wieder zu massenhaften Tötungen anderen, hindernden oder störenden menschlichen Lebens. Kriege und Terroranschläge durchziehen die Geschichte bis in die Gegenwart. Kürzlich wurde bei uns vorgeschlagen, auf Flüchtlinge oder Immigranten, die die Grenze unerlaubt übertreten, zu schießen. Die Abtreibung in der ersten Phase der Schwangerschaft ist in den meisten Ländern unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Und die „Euthanasie“, die selbstgewählte, ärztlich begleitete, schmerzlose Sterbehilfe findet in breiten Bevölkerungskreisen Zustimmung.

 

Als Christ, der um seine eigene Sünde weiß, meine ich, daß nur der Glaube an Gott, den Schöpfer des Lebens, und sein schützendes Gebot „Du sollst nicht töten!“ (Ex 20,13) das Leben des Anderen wirklich heilig und – bis auf wenige Grenzfälle – unantastbar macht. Gott ist ein „Freund des Lebens“ (Weisheit 11,26), der jeden einzelnen Menschen liebt. In der Menschwerdung seines Sohnes, in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, hat er uns sein Wesen offenbart und sich ganz mit unserem menschlichen Leben identifiziert – seiner Schönheit, seiner Gefährdung, seiner Sterblichkeit, ja, er hast das Böse, das uns im gegenseitigen Töten so massiv begegnet, überwunden und besiegt. Das motiviert mich, auch in einer Zeit, in der das Tötungstabu nicht mehr unbestritten gilt, in einer Gesellschaft, in der der „homo necans“ (Walter Burkert), der „tötende Mensch“, immer mehr sein Haupt erhebt, und in einer Welt, die – realistisch betrachtet – wohl immer so bleiben wird, für die „Heiligkeit“ des menschlichen Lebens einzutreten.

 

Pfr. W. Krause

 



[1]    In der positiven Fassung Jesu: „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.“ (Mt 7,12) In der negativen Fassung des deutschen Sprichworts: „Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg' auch keinem andern zu!“